Treffpunkt Frühjahr 2020 17 GEGEN EIN BGE spricht am meisten die menschli- che Natur. Fast alle Menschen haben ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung durch Arbeit. Studien zeigen, dass Arbeitslose mit ihrem Leben weniger zufrieden sind als Erwerbstätige, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Ihnen fehlt das Gefühl, gebraucht zu werden. Ein BGE, das besagt, niemand müsse mehr arbeiten, vermittelt aber genau das: Auf dich kommt es nicht an. Menschen, die Spaß an ihrem Beruf haben, gewin- nen dadurch Motivation. Arbeitnehmer mit mono- tonen oder körperlich anstrengenden Jobs jedoch würden sich fragen: Wenn der Staat für ein Einkom- men sorgt, warum soll ich zusätzlich arbeiten? Befürworter eines BGE argumentieren, dass mehr Freiraum sie in die Lage versetzt, Dinge zu tun, die sie erfüllen. Allerdings wissen wir aus der Empirie, dass etwa Ehren ämter überdurchschnittlich oft von Menschen ausgeübt werden, die beruflich stark ein- gebunden sind. Das ist auch eine Frage der Persön- lichkeit. Meine Sorge wäre, dass ein BGE bei diesen Menschen kein kreatives Potenzial entfesselt, son- dern sie auf der Couch hängen bleiben. Der Zwang, arbeiten zu müssen, hat auch etwas Heilsames. Unser Sozialstaat ist gedacht als Geben und Nehmen zwischen denen, die können, und anderen, die brau- chen. Ein BGE würde dieses Prinzip aushebeln. Ich bin skeptisch, ob hart arbeitende Menschen bereit wären, andere mitzufinanzieren, die das aus freien Stücken nicht tun. Grundeinkommen soll Scham vermeiden, weil Bedürftigkeit keine Rolle spielt. Doch wie realistisch ist das? Es gäbe weiterhin jene, die zusätzlich arbeiten, und jene, die das nicht tun. Der Druck auf Letztere könnte sogar zunehmen. Hartz-IV-Bezieher können sich heute da- rauf berufen, dass der Staat Bedürftig- keit festgestellt hat. Wenn das weg- fällt, geraten selbst Menschen in Not unter Erklärungsdruck. WENN WIR GRUNDEINKOMMEN verlosen, schenken wir kein Geld, sondern Freiheit. Knapp 180 000 Spender vertrauen darauf, dass die Grundeinkom- men bestmöglich verwendet werden. Dieser Ver- trauensvorschuss fördert in den Gewinnern Selbst- vertrauen, Tatendrang und die Gesundheit. Ein staatliches Grundeinkommen wäre kein zusätzli- ches, sondern grundsätzliches Geld wie der Steuer- freibetrag. Während davon vor allem Besserverdie- nende profitieren, erhielten das Grundeinkommen alle. Das Geld dafür ist bereits vorhanden; es würde nur anders verteilt, zum Beispiel durch die Anpas- sung von Einkommen- und Erbschaftsteuern. Die Befürchtung, mit einem Grundeinkommen wollten Menschen nicht mehr arbeiten, ist unbe- gründet. Studien zeigen, dass Geld ein geringerer Arbeitsanreiz ist als angenommen. Deutlich moti- vierender sind Sinnhaftigkeit, Entscheidungs- autonomie und persönliche Wachstumschancen. Gleichwohl muss die Existenzgrundlage der Men- schen gesichert sein. Ein Grundeinkommen leistet das – und viel mehr: Unsere Gewinner und Gewin- nerinnen nehmen sich Zeit, den Job zu finden, der zu ihnen passt. Einige wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Wenn Menschen sich ohne Existenzangst der Arbeit ihrer Wahl widmen können, sind sie besser darin. Davon profitieren wiederum Wirtschaft und Gesellschaft. Im Vergleich zu Hartz IV wirkt das Grundeinkom- men wie ein gesellschaftliches Korrektiv: Indem es alle erhalten, wird Erwerbslosigkeit entstigmati- siert. Ein Grundeinkommen ist kein Almosen, son- dern Wertschätzung für bisher nicht entlohnte Arbeit, etwa in Erziehung, Pflege und Ehrenamt. Es ermöglicht Verteilungs- gerechtigkeit und gesamt- gesellschaftliche Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt. Ein Grundeinkommen ist das passende Instrument für den Sozialstaat im 21. Jahrhundert.